Schneitelwirtschaft
Schneitelwirtschaft bezeichnet die Nutzung von Bäumen, Sträuchern und Hecken in der Feldflur zum Zwecke der Viehfuttergewinnung. Als Schneiteln bezeichnet man das Abschneiden junger Triebe und Blätter zu eben diesem Zweck.
Die Nutzung von Laub als Futter ist nicht unüblich. Bis Mitte des 19 Jahrhunderts war es üblich, das Vieh auch in den Wald zu treiben. Hier fand es neben Blättern und Reisig auch Eicheln und Bucheckern zum Fressen. Mit der Trennung von Wald und Weide – zum Schutz des Walds – kam es zu einer Futterverknappung und einer intensiven Nutzung der Gehölze in der Feldflur. Historische Veröffentlichungen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert belegen eine Nutzung vorrangig als Notfutter. Tatsächlich ist es gar nicht abwegig, Rindern Laub zu füttern, schließlich fressen deren wilde Verwandten nicht nur Gras, sondern eben auch Laub, junge Knospen, Triebe und zum Teil sogar Borke. Auch die Megaherbivorentheorie geht schließlich davon aus, dass Wisente, Auerochsen, Hirsche etc. verhindert haben, dass sich im Holozän über Europa ein geschlossener Wald entwickelt hat.
Da Rinder trotz reichhaltigen Grasangebotes auch an Büschen und Bäumen weiden, ist das Fressen von Laub also tatsächlich auch ein natürliches Verhalten von Rindern (Schwabe & Kratochwil, 1987). Das Laub ist entweder schmackhaft und wird deswegen gerne gefressen oder es ist ein spezifischer Appetit, der die Tiere instinktiv zu einer ausgewogenen Ernährung bewegt (Schwabe & Kratochwil, 1987). Bekannt ist das Tiere z. B. einen Salzmangel durch Fraßselektion ausgleichen (Fraser (1978) in Schwabe und Kratochwil (1987)). Untersuchungen von Hejcman et al. (2016) zeigen, dass die Nährstoffzusammensetzung in Laubblättern unter Umständen sogar günstiger sein kann als die von Gras: In ihren Untersuchungen waren die Kaliumgehalte von Zwergbirken-, Moorbirken-, Wollweiden-, Teeblättrigeweidenblättern niedriger als die Gehalte der Blätter von Rasen-Schmiele und Wiesen-Fuchsschwanz. Wohingegen die Magnesium- und Calciumgehalte höher waren. Das ist vorteilhaft, denn junges gedüngtes Gras kann durch hohe Kaliumgehalte zu Weidetetanie oder Gebärparese (Milchfieber) führen. Es blockiert die Magnesiumaufnahme im Pansen und reduziert die Calciummobilisation aus den Knochen (Martens & Schweigel, 2003).
Darüber hinaus sind die Tanningehalte in Laubbaumblättern höher als in den Gräsern (Hejcman et al., 2016; Leiber & Hämmerli, 2016). Aktuelle Untersuchungen zu kondensierten Tanninen zeigen, dass diese im Gegensatz zur Geflügel- und Schweinefütterung bei der Rinderfütterung im gewissen Maße ernährungsphysiologische Vorteile haben (Gresner et al., 2014). Kondensierte Tannine gehen mit Proteinen eine pH-Wert-abhängige Bindung ein, sodass diese im nur leicht sauren bis leicht basischen Pansen vor dem mikrobiellen Abbau geschützt sind und erst im sauren Labmagen wieder freigesetzt werden. Die Ammoniakproduktion wird also reduziert und die Proteinausbeute erhöht sich. Das könnte nicht nur gut fürs Klima sein (Goel & Makkar, 2012), sondern erhöht auch die Milchmenge (Leiber & Hämmerli, 2016) oder die Tageszunahmen.
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Quellen:
Fraser, A. F. (1978). Das Verhalten landwirtschaftlicher Nutztiere. Ulmer.
Goel, G. & Makkar, H. P. S. (2012). Methane mitigation from ruminants using tannins and saponins. Tropical animal health and production, 44(4), 729–739. https://doi.org/10.1007/s11250-011-9966-2
Gresner, N., Südekum, K.‑H. & Höltershinken, M. (2014). Umsetzungen von Stickstoffverbindungen des Futters im Pansen. Übersichten zur Tierernährung, 42(2), 27–80.
Hejcman, M., Hejcmanová, P., Pavlů, V. & Thorhallsdottir, A. G. (2016). Forage quality of leaf fodder from the main woody species in Iceland and its potential use for livestock in the past and present. Grass and Forage Science, 71(4), 649–658. https://doi.org/10.1111/gfs.12224
Leiber, F. & Hämmerli, F. (2016). Kräuter und Laub: im Rindviehfutter. Bioaktuell(3), 12.
Martens, H. & Schweigel, M. (2003). Effekte des Kaliums auf den Mg- und Ca-Stoffwechsel der Kuh: Wirkungen und Nebenwirkungen wissenschaftlicher Tätigkeit [Influence of potassium on Mg- and Ca-metabolism in cows: effects and side effects of scientific research]. Schweizer Archiv für Tierheilkunde, 145(12), 577–583. https://doi.org/10.1024//0036-7281.145.12.577
Schwabe, A. & Kratochwil, A. (1987). Weidbuchen im Schwarzwald und ihre Entstehung durch Verbiss des Wälderviehs: Verbreitung, Geschichte und Möglichkeiten der Verjüngung. Beihefte zu den Veröffentlichungen für Naturschutz und Landschaftspflege in Baden-Württemberg: Bd. 49. Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg.